Die Verantwortung für das Ganze

      Horst-Eberhard Richter

 

Horst-Eberhard Richter, einer der großen Denker des 20. Jahrhunderts, Arzt, Psychoanalytiker und Sozialphilosoph, erhielt neben dem Friedensnobelpreises zahllose internationale Ehrungen. Unter anderem hat ihm der Jüdische Nationalfonds im Jahr 2000 für sein Lebenswerk zehn Bäume in Israel gepflanzt. Das Bundesverdienstkreuz hat Richter dreimal mit der Begründung abgelehnt, dass es zu viele „Altnazis“ erhalten hätten.

 

In einer Neuauflage seines Werkes "Der Gotteskomplex" beschreibt er die moderne westliche Zivilisation als psychosoziale Störung, als Flucht aus der mittelalterlichen Ohnmacht in den Anspruch auf egozentrische, gottgleiche Allmacht sowie als Ausdruck des angstgetriebenen Machtwillens und der Krankheit, nicht mehr leiden zu können. Die Überwindung des Gotteskomplexes betrachtete er als Überlebensfrage der Gesellschaft und des modernen Menschen. In einem weiteren, vor 20 Jahren erschienenen Werk forderte Horst-Eberhard Richter das Ende der "Egomanie": „Die Vorstellung von einem individuellen Selbst, das sich in der gesamten westlichen, am ausgeprägtesten auf das amerikanische Selbst ausgeweitet hat, muss einem neuen Bewusstsein der Verantwortung für das Ganze weichen“.

 

Obwohl die Menschen in den westlichen Wohlstandsgesellschaften unter den Folgen des technischen Fortschritts leiden, ist die Mehrheitsgesellschaft heute weiter von einem Wandel entfernt als je zuvor. Während Millionen Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren, Tausende auf der Flucht über die Meere ertrinken und Millionen Schutzsuchende in Elendsquartieren auf die Abschiebung warten, sitzen die Deutschen Schulter an Schulter in den Ferienfliegern. Und diejenigen, die die politische Verantwortung für das Ganze tragen, zeigen nicht die geringste Einsicht, dass sie sich geirrt haben.

 

Auf der anderen Seite sind 40 % der Deutschen sensibel veranlagt, Persönlichkeiten, die unserer Welt guttun, weil sie sich in allen Lebensbereichen um Nachhaltigkeit bemühen und den überfälligen Wandel von der Egoisten- in eine Kooperationsgesellschaft vorbereiten. Bleibt die Hoffnung, dass die dramatisch verändernden Bedingungen zu einem politischen Umdenken zwingen werden.