Sensitivität und Atopie

Gibt es Hinweise auf Eigenschaften der „Sensory processing sensitivity" (SPS) bei atopisch veranlagten Persönlichkeiten?

Eine Untersuchung an Eltern Neurodermitis-kranker Kinder in stationärer Behandlung

Liffler P. (1), Peters E.M.J. (2), Gieler U. (3)

 

(1) Kinderfachklinik Bellevue, ´Fehmarn

 

(2) Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Psychoneuroimmunologie Labor, Justus-Liebig-Universität, Gießen

 

(3) Klinik für Dermatologie und Allergologie und Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Psychosomatische Dermatologie, Justus-Liebig-Universität Gießen

 

 

Korrespondent:

Dr. med. Peter Liffler

Fasanenweg 19a

23769 Fehmarn

 

Telefon:

04372 - 8064296

 

Mobil:

0160 - 90918992

 

E-Mail:

info@drpeterliffler.de

Kurztitel: Sensitivität und Atopie

Fragestellung:

Klinisch erwecken die Eltern Neurodermitis-kranker Kinder oft den Eindruck der erhöhten Sensitivität. Untersucht wurde, ob die Eltern Eigenschaften der „Sensory processing sensitivity” (SPS) wie außergewöhnliche Wahrnehmung und Verarbeitung, Überempfindlichkeit auf äußere Reize, erhöhte Erregbarkeit und Überforderung zeigen.

 

Methode:

64 Eltern von Neurodermitis-kranken Kindern wurden deshalb mit dem HS-Test (Aron 1996) und drei bewährten Auskunftsfragebögen untersucht. Dabei wurden selbst atopisch veranlagte (n=44) mit nicht atopisch veranlagten Eltern verglichen (n=20). Außerdem wurden atopisch veranlagte Eltern von leicht Neurodermitis-kranken Kindern (n = 24) und atopisch veranlagte Eltern schwer Neurodermitis-kranker Kinder (n=20) mit nicht atopisch veranlagten Eltern Neurodermitis-kranker Kinder verglichen (n=20).

 

Ergebnisse:

Der Vergleich von 44 atopisch-veranlagten Eltern mit 20 nicht atopisch-veranlagten Eltern zeigte bei den atopisch veranlagten Eltern eine signifikant höhere Empfindsamkeit, Erregbarkeit, eine stärkere Neigung zum esoterischen Denken und eine verringerte Frustrationstoleranz. Tendenziell signifikante Unterschiede zeigten atopisch veranlagte Eltern in drei weiteren Merkmalen: Die Grundstimmung war bedrückter, die Lebenszufriedenheit geringer und die Beanspruchung erhöht. Im Vergleich der atopisch-veranlagten Eltern leicht kranker Kinder mit atopisch-veranlagten Eltern schwer kranker Kinder fanden sich keine signifikanten Unterschiede.

 

Diskussion:

Atopisch veranlagte Eltern Neurodermitis-kranker Kinder zeigen Eigenschaften entsprechend dem Konstrukt der „sensory processing sensitivity“ (SPS). Der Einfluss dieser Eigenschaften auf Neurodermitis-kranke Kinder, insbesondere die erhöhte Responsivität (Aron u. Aron 1997; Boterberg u. Warreyn 2016), sollte im Rahmen weiterführender Studien untersucht werden.

Schlüsselwörter:

Atopische Dermatitis - atopisch veranlagte Eltern – Sensorische Verarbeitungsempfindlichkeit - SPS

 

 

1. Einleitung

 

Psychische Faktoren werden zunehmend in die Untersuchung der Ätiopathogenese chronisch entzündlicher Erkrankungen wie der Neurodermitis (synonym englisch: atopic dermatitis) (AD) einbezogen (Dhabhar 2013; Peters et al. 2012; Ring et al. 2012; Senra u. Wollenberg 2014). Bisherige Untersuchungen der Zusammenhänge zwischen psychischen Faktoren und der Entwicklung und Aufrechterhaltung einer AD befassten sich mit der Auswirkung akuter Stressbelastung, umschriebener Lebensereignisse, spezifischer Persönlichkeitsfaktoren oder psychischer Erkrankungen wie der Depression. Epidemiologische Ansätze weisen auf deutliche psychische Komorbiditäten bei AD hin (Dalgard et al. 2015; Cheng et al. 2015; Kim et al. 2015). Zusammenfassend hat die jahrzehntelange Forschungstätigkeit zu dem Ergebnis geführt, dass intensiver psychischer Stress mindestens den Verlauf einer AD negativ beeinflussen kann, möglicherweise auch ihre Entwicklung und dass bestimmte psychische Faktoren, wie das Bestehen einer Depression und krankheitsverstärkender Verhaltensgewohnheiten mit dem vermehrten Auftreten von AD assoziiert sein können (Chida et al. 2008). Darüber hinaus gilt ein psychoneuroimmunologischer Zusammenhang als gesichert, der z.T. vom Schweregrad der Erkrankung und von einer Reihe von Einflussfaktoren wie dem Geschlecht beeinflusst wird (Peters 2013). Historisch wurde die AD mit Persönlichkeitsfaktoren assoziiert (Alexander 1943). Dieses Konzept ließ sich nicht wissenschaftlich sichern (Gieler et al. 1990).

 

Auf der Suche nach möglichen psychologischen Erklärungen und therapeutischen Zielen für den potentiellen Zusammenhang zwischen psychischen Faktoren und AD bietet sich das Konzept der „Sensory-processing sensitivity” (SPS) an (Aron u. Aron 1997).

 

1996 hatte die Psychologin Elaine N. Aron erstmals die Eigenschaften hochsensitiver Persönlichkeiten („highly sensitive person“ (HSP)) beschrieben (Aron 1996). Ein Jahr später wurde der mittlerweile wissenschaftlich etablierte Begriff der „Sensory-processing sensitivity” (SPS) eingeführt (Aron u. Aron 1997). Definitionsgemäß bezieht sich die sensorische Verarbeitungsempfindlichkeit nicht auf die Sinnesorgane als solche, sondern auf das, was bei der sensorischen Information geschieht, auf das Gehirn übertragen oder dort verarbeitet wird. Das Konstrukt geht von einer offeneren und subtileren Wahrnehmung sowie einer intensiveren und verlängerten zentralnervösen Verarbeitung von inneren und äußeren Reizen aus (Aron 2006). So berichten Menschen mit hoher SPS auch über eine erhöhte Reaktion auf Stimuli wie Schmerz, Koffein, Hunger und laute Geräusche (Liss et al. 2008) und zeigen eine Affinität zur Spiritualität (Blumentritt 2012). Nach Aron sind erhöhte SPS-Werte ein Persönlichkeitsmerkmal und keine Störung; sie müssen von ähnlich erscheinenden Merkmalen, wie sozial zurückhaltendem Verhalten, Schüchternheit, psychischen Störungen wie Neurotizismus unterschieden werden. Negative Emotionalität sei nur bei Menschen mit SPS zu finden, die von einer ungünstigen elterlichen Umwelt während ihrer Kindheit betroffen waren (Aron et al. 2012). Insofern muss auch die im Alltag oft ähnlich erscheinende „sensitive Persönlichkeit“ von einer erhöhten SPS unterschieden werden, weil sie unter Belastung behandlungsbedürftige Krisen oder Persönlichkeitsstörungen entwickeln kann (Tölle 2013). Beim SPS wird nicht von einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber negativen Einflüssen im Sinne eines Diathese-Stress-Modells, sondern von einer erhöhten Responsivität gegenüber positiven und negativen Eindrücken ausgegangen (Ellis et al. 2011). Nach Boterberg u. Warreyn (2016) handelt es sich bei der SPS um ein Temperament- oder Persönlichkeitsmerkmal, das bei manchen Individuen vorhanden ist und eine gesteigerte Sensitivität des zentralen Nervensystems und eine tiefere kognitive Verarbeitung körperlicher, sozialer und emotionaler Reize widerspiegelt. Genetische Studien haben inzwischen nachgewiesen, dass höhere SPS-Werte mit dem Serotonin-Transporter 5-HTTLPR- short/short-Genotyp (Licht et al. 2011) und Polymorphismen in Dopamin-Neurotransmitter-Genen und der ADRA2b-Norepinephrin-verwandten Genvariante verknüpft sind (Todd et al. 2015). In einer explorativen Studie war SPS mit einer signifikant stärkeren Aktivierung in Hirnarealen assoziiert, die an der visuellen Verarbeitung höherer Ordnung beteiligt sind (Jagiellowicz et al. 2011).

 

 

 

2. Hypothesen und Ziele

 

Ausgehend von den dargelegten Überlegungen ist es naheliegend, bei einer Erkrankung wie der AD, nach möglichen psychischen Einflussfaktoren dieses Konzeptes zu suchen. Zwischen der Veranlagung zur erhöhten SPS und der Entwicklung und der Ausprägung einer AD könnte eine Beziehung bestehen. Psychologische Prädiktoren hinsichtlich Juckreiz bei AD ist von Schut et al. (2014) in einer Fallkontrollstudie untersucht worden, wobei Persönlichkeitseigenschaften wie öffentliches Selbstbewusstsein und Verträglichkeit neben Depression einen Einflussfaktor auf den wahrgenommenen Juckreiz darstellte. Sollte sich ein Zusammenhang einer erhöhten SPS bei Eltern AD-kranker Kinder bestätigen, müsste das sowohl in der Primär- und Sekundärprävention, als auch bei therapeutischen Empfehlungen berücksichtigt werden. Folgende Fragen wurden entsprechend in einer Fall-Kontroll-Studie an Eltern AD-kranker Kinder verfolgt:

 

1.     Unterscheiden sich Eltern AD-kranker Kinder, die selbst von einer Erkrankung des atopischen Formenkreises betroffen sind oder waren, von Eltern ohne Veranlagung hinsichtlich ihrer im HS-Test gemessenen SPS?

 

2.     Unterscheiden sich atopisch veranlagte Eltern schwer AD-kranker Kinder von atopisch veranlagten Eltern leicht AD-kranker Kinder?

 

3.     Unterscheiden sich atopisch veranlagte Eltern schwer AD-kranker Kinder und atopisch veranlagte Eltern leicht AD-kranker Kinder im Vergleich zu nicht atopisch veranlagten Eltern?

 

4.     Wie äußern sich die Eigenschaften der SPS in bekannten und validierten Persönlichkeitstests?

 

 

 

3. Methode

 

3.1 Ethik und Teilnehmerrekrutierung

 

Im Rahmen der klinischen Diagnostik in der Kinderklinik für pädiatrische Allergologie, Dermatologie und Pneumologie, 23769 Fehmarn OT Petersdorf, zeigten die Eltern AD-kranker Kinder Hinweise auf erhöhte Sensitivität, wie besondere Sorgfalt, ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, erhöhte Erregbarkeit und Beanspruchung sowie die Neigung zur Inanspruchnahme komplementärmedizinischer Verfahren. Diese Eigenschaften schienen vor allem für den Umgang der Eltern mit Säugligen und Kleinkindern klinisch bedeutsam, worauf der HS-Test (E. Aron 1996) eingesetzt wurde. Dabei fielen vor allem bei den atopisch veranlagten Eltern AD-kranker Kinder deutlich erhöhte Werte auf.

 

Die Teilnehmer der hier vorgelegten Pilotstudie rekrutierten sich aus Eltern AD-kranker Kinder, die ihre Kinder während einer durchschnittlich 3-wöchigen vollstationären Behandlung begleiteten. Alle Eltern, die im Zeitraum Januar 2013 bis Dezember 2016 zur Aufnahme vorstellig wurden, wurden auf die Möglichkeit zur Datenanalyse im Rahmen wissenschaftlicher Studien hingewiesen. Die Eltern waren vollumfänglich über die Analysen und ihre Ziele informiert worden und hatten ihre Einwilligung zur Verwendung ihrer Daten zur wissenschaftliche Auswertung bei Aufnahme schriftlich erteilt. Ein entsprechendes Ethikvotum zur Auswertung der routinemäßig erhobenen Daten wurde seitens der Ethikkommission der Ärztekammer Schleswig-Holstein daher nicht für erforderlich erachtet.

 

3.2 Testinstrumente

 

Zur Beantwortung dieser Fragen wurden folgende Testinstrumente eingesetzt: Neben dem HS-Test von E. Aron wurden drei bewährte Auskunftsfrageböge eingesetzt: Der Gießen Test (GT), Münchner Persönlichkeitstest (MPT) und das Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI-R).

 

Die Highly Sensitiv Person Scale (HS-Test) wurde 1996 von Aron entwickelt. Der 27 Items umfassende Fragebogen dient der Messung der erhöhten sensorischen Verarbeitungssensitivität (SPS). Der Fragebogen wurde mehrfach wissenschaftlich untersucht. Während Aron von einer eindimensionalen Struktur ausging, fanden andere Untersuchungen neben den Hauptmerkmalen das schwach korrelierende Merkmal „Empfindlichkeit gegenüber ästhetischen Reizen“. HSP-Scale-Score-Muster bei Erwachsenen wurden als dichotome kategoriale Variable mit einem Bruchpunkt zwischen 10% und 35% ermittelt, wobei Aron einen Cut-Off der 20% mit der höchsten Punktzahl auswählte, um die HSP-Kategorie zu definieren. Der Test weist statistisch gesehen eine gute interne Konsistenz auf und erfüllt die Anforderungen an Reliabilität und Validität (Smolewska et al. 2006; Evans u. Rothbart 2008; Boterberg u. Warreyn 2016).

 

Der Gießen-Test (GT) dient der Persönlichkeitsdiagnostik (Beckmann et al. 1991) und besteht aus sechs Skalen aus jeweils 6 Items: Soziale Resonanz (negativ sozial resonant vs. positiv sozial resonant), Dominanz (dominant vs. gefügig), Kontrolle (unkontrolliert vs. zwanghaft), Grundstimmung (hypomanisch vs. depressiv), Durchlässigkeit (durchlässig vs. retentiv) und Soziale Potenz (sozial potent vs. sozial impotent). Die Durchführung und die Auswertung des GT sind standardisiert Die Retest-Reliabilität der sechs Skalen nach sechs Wochen lag zwischen r=.65 und r=.76. Eine Untersuchung an 235 neurotischen Patienten ergab eine mittlere innere Stabilität der Skalen von r=.86. Die nach sozialpsychologischen und tiefenpsychologischen Gesichtspunkten ausgewählten Items erscheinen inhaltlich valide.

 

Der Münchner Persönlichkeitstest (MPT) dient der zeitökonomischen, dimensionalen Erfassung der Persönlichkeitsstruktur (Zerssen u. Petermann 2012). Die Hauptindikation liegt im begleitenden Einsatz innerhalb medizinischer oder psychotherapeutischer Interventionen. Die Testskalen umfassen die Persönlichkeitsdimensionen Extraversion, Neurotizismus, Frustrationstoleranz, Rigidität, Isolationstendenz, Esoterische Neigungen und Normorientierung sowie eine zusätzliche »Kontrollskala" Motivationen. Alle Skalen verfügen über eine zufriedenstellende interne Konsistenz (Cronbachs a .68 - .88). Die Konstruktvalidität ist gegeben.

 

Das Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI-R) ist ein psychologischer Persönlichkeitstest (Fahrenberg et al. 2010) mit 138 Items und folgenden Skalen: Lebenszufriedenheit, Soziale Orientierung, Leistungsorientierung, Gehemmtheit, Erregbarkeit, Aggressivität, Beanspruchung, Körperliche Beschwerden, Gesundheitssorgen und zwei Sekundärskalen: Extraversion und Emotionalität im Sinne Eysencks. Der Vergleich der beiden Repräsentativerhebungen von 1982 und 1999 zeigte, dass die Struktur des FPI-R sowie testmethodische Statistiken und Reliabilitätskoeffizienten sehr gut reproduzierbar waren (Rohrmann u. Spinath 2011).

 

3.3 Zusammensetzung der Stichprobe

 

Insgesamt konnten Daten von 64 Eltern (34 Mütter und 30 Vätern) von insgesamt 36 konsekutiv erfassten AD-kranken Kindern ausgewertet werden. 5 Elternpaare (Drop-outs) hatten eine Teilnahme aus persönlichen Gründen abgelehnt. 4 Väter der 36 AD-kranken Kinder waren aus beruflichen Gründen nicht anwesend. Entsprechend den Ergebnissen eines allergologischen Eingangsfragebogens, waren 44 Eltern (25 Mütter und 19 Väter) im Verlauf ihres Lebens selbst an einer Erkrankung des atopischen Formenkreises erkrankt. Diese Eltern werden im weiteren Verlauf als AE bezeichnet. 31 Eltern (70.4 %) waren in ihrer frühen Kindheit wegen AD, 13 (29.4 %) wegen AD und Asthma bronchiale behandelt worden. 14 Eltern (31.8 %) wurden noch als Heranwachsende und im Erwachsenenalter wegen Heuschnupfens und Asthma bronchiale, 3 Eltern (8 %) wegen AD behandelt.

 

20 Eltern (9 Mütter und 11 Väter) hatten nie an einer Erkrankung des atopischen Formenkreises gelitten. Diese Eltern werden im weiteren Verlauf als NAE bezeichnet.

 

Von den 36 Kindern waren 13 schwer krank. Als schwer krank galten Kinder mit einem Gesamt IgE von >500 kU/l (durchschnittlich 2177 kU/l), einer Ausdehnung des Ekzems von > 50 % der Körperoberfläche und intensiver Ausprägung. Bei 6 der schwer AD-kranken Kinder waren beide Eltern atopisch veranlagt, bei 7 Kindern nur ein Elternteil, d. h. 7 Mütter und Väter schwer AD-kranker Kinder waren nicht atopisch veranlagt. Das mittlere Alter lag für schwer betroffene Kinder bei 3.3 Jahren (SD 2.9 J.). Die atopisch veranlagten Eltern schwer AD-kranker Kinder (9 Mütter und 11 Väter) werden im weiteren Verlauf mit AESV bezeichnet.

 

Als leicht krank galten die 23 Kinder mit einem Gesamt IgE von <500 kU/l (durchschnittlich 148.6 kU/l), einer Ausdehnung des Ekzems < 50 % der Körperoberfläche und geringer bis mäßiger Intensität. Das mittlere Alter lag bei den leicht kranken Kindern bei 3.4 Jahren (SD 2.2 J.). Bei 8 der 23 leicht kranken Kindern waren beide Eltern atopisch veranlagt, bei 11 nur ein Elternteil und bei 4 Kindern waren beide Eltern gesund. Die atopisch veranlagten Eltern leicht AD-kranker Kinder (16 Mütter und 8 Väter) werden im weiteren Verlauf mit AELV bezeichnet.

 

Als Wohnort der Familien galt die Region, in der die Kinder geboren und aufgewachsen waren (siehe Tabelle 1 Stichprobenbeschreibung).

Tabelle 1: Stichprobenbeschreibung: Nicht atopisch veranlagte Eltern (NAE) versus. atopisch veranlagte Eltern (AE) und atopisch veranlagte Eltern schwer kranker Kinder (AESV) versus atopisch veranlagte Eltern leicht kranker Kinder (AELV)

 Die Interferenz-Statistik der 3 Gruppen zeigte keine signifikanten Unterschiede wie in Tab. 1 dargestellt.

 

3.4 Statistik

 

Die statistischen Auswertungen wurden mit dem Programm IBM SPSS Version 24.0 durchgeführt (IBM Böblingen 2017). Bei der Stichprobenbeschreibung wurde der Chi-Quadrat-Test, bei den übrigen Vergleichen der Mann-Whitney-U-Test für unabhängige Stichproben eingesetzt. Dieser testet, ob die zentralen Tendenzen zweier unabhängiger Stichproben verschieden sind. Der Mann-Whitney-Test ist ein parameterfreier Test und unabhängig von der Normalverteilung und der Gleichheit der Varianzen.

 

 

 

4. Ergebnisse und Interpretation

 

4.1 Vergleich der atopisch veranlagten Eltern (AE) versus nicht atopisch veranlagten Eltern (NAE)

 

AE unterschieden sich in 4 Skalen signifikant von NAE (vgl. Tab. 2). AE zeigen signifikant höhere Werte der SPS (p=.000), äußern vermehrt „esoterische Neigungen“ (p=.011), zeigen eine geringere „Frustrationstoleranz“ (p=.005) und eine erhöhte „Erregbarkeit“ (p=.013). Die „Grundstimmung“ ist tendenziell signifikant (p=<.10) bedrückter (p=.059), die „Lebenszufriedenheit“ geringer (p=.062) und „Beanspruchung“ tendenziell höher (p=0.58).

Tabelle 2: Gruppenvergleich: Atopisch veranlagte Eltern (AE) versus nicht atopisch veranlagte Eltern (NAE)

Anmerkung: MW = Mittelwert, SD = Standardabweichung, p-Wert = statistische Signifikanz

 

Statistisch signifikant auf folgenden Niveaus *≤.05; **≤.01; ***≤.001. Mann-Whitney-T

4.2 Subgruppenanalyse 

 

Atopisch veranlagte Eltern schwer kranker Kinder (AESV)  und atopisch veranlagter Eltern leicht kranker Kinder (AELV) versus nicht atopisch veranlagter Eltern (NAE)

 

AESV unterschieden sich in 3 Skalen signifikant von NAE (vgl. Tab. 3): sie zeigen signifikant erhöhte SPS-Werte (p=.001), eine geringere „Frustrationstoleranz“ (p=.016) und eine höhere „Erregbarkeit“ (p=.030). In 3 weiteren Skalen unterschieden sie sich tendenziell signifikant (p=<.10): Sie schätzen ihr „soziales Ansehen“ geringer ein (p=.084), waren „pflichtbewusster“ (p=.095) und neigten tendenziell stärker zum „esoterischen Denken“ (p=.079).

 

AELV unterschieden sich von NAE signifikant in 4 Skalen (vgl. Tab. 3): Sie zeigen signifikant erhöhte SPS-Werte (p=.000), häufiger „esoterische Neigungen“ (p=.007), eine geringere „Frustrationstoleranz“ (p=.012) und eine erhöhte „Erregbarkeit“ (p=.032). Tendenziell signifikant (p=<.10) unterschieden sie sich außerdem in weiteren 5 Skalen: Ihre „Grundstimmung“ war bedrückter (p=.065), die „Lebenszufriedenheit“ geringer (p=.076), die „soziale Fürsorglichkeit“ ausgeprägter (p=.093), die „Beanspruchung“ erhöht (p=.091) und die „körperlichen Beschwerden“ vermehrt (p=.080).

Tabelle 3: Subgruppenvergleich: Atopisch veranlagte Eltern schwer kranker Kinder (AESV) und atopisch veranlagte Eltern leicht kranker Kinder (AELV) vs. nicht atopisch veranlagte Eltern (NAE)

Anmerkung: MW= Mittelwert, SD= Standardabweichung, p-Wert=statistische Signifikanz

 

Statistisch signifikant auf folgenden Niveaus *≤.05; **≤.01; ***≤.001. Mann-Whitney-Test

Im direkten Vergleich (t-Test) der Gruppe AESV und AELV finden sich keine Unterschiede (hier nicht dargestellt).

 

 

 

5. Diskussion

 

Die Testergebnisse bestätigen die Hypothese, dass AE Eigenschaften des Konstruktes der „Sensory-processing sensitivity“ zeigen, wie sie von   Boterberg u. Warreyn (2016) auch mit Hinweis auf experimentelle Untersuchungen von Jagiellowicz et al. (2011) beschrieben wird. Die Eigenschaften werden mit den Testergebnissen der AE signifikant bestätigt. Die erhöhten esoterischen Neigungen werden als Neigung zur Spiritualität von Blumentritt (2012) beschrieben und sind für AE möglicherweise charakteristisch. Diese Eigenschaft könnten mit der Feststellung in der AWMF S2k Leitlinie zusammenhängen, wonach nahezu die Hälfte der AD-Patienten, beziehungsweise deren Eltern, komplementärmedizinische Heilverfahren favorisieren (Werfel et al. 2016).

 

AELV zeigen tendenziell mehr Hinweise auf SPS als AESV. Diese Ergebnisse sprechen gegen eine Abhängigkeit der SPS von der Schwere der Erkrankung der Kinder und bestätigen die Annahme, dass es sich bei der SPS nicht um ein Diathese-Stress-Modell, sondern um eine erhöhte Responsivität aufgrund der intensiveren sensorischen Verarbeitung handelt (Ellis et al. 2011).

 

Die Studie ist wegen der relativ geringen Stichprobe und der Erfassung in einer spezialisierten Kinderklinik sicher nur eingeschränkt repräsentativ. Sie sollte jedoch einen ersten Hinweis geben, ob die erhöhte SPS und ein entsprechend geprägter Erziehungsstil, wie es den Autoren klinisch erschienen war, ein psychologischer Kofaktor im Umgang mit dem AD-kranken Kind, insbesondere der Altersgruppe der 0- bis 6-Jährigen mit der höchsten 12-Monate-Prvälenz (Schmitz et al.2014), sein könnte. Wegen der möglichen Bedeutung für eine wirksamere Behandlung, sollte diesem Zusammenhang in weiteren Studien mit größeren Gruppen und in unterschiedlichen Settings mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

 

 

 

6. Literaturverzeichnis

 

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7. Appendix

 

 

 

8. Kurzbiographie des Erstautors

 

Dr. med. Peter Liffler, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin

 

Chefarzt des Kinder-Rehabilitationszentrums Fehmarn (1988-90), des Therapeutikums Westfehmarn (1992-94) und der Fachklinik Bellevue (1995–2017). Leitung des Erprobungsmodells (§ 63 SGB V) der GKV „Ambulante Rehabilitation der Erkrankungen des atopischen Formenkreises“ (1995-2000). Entwicklung einer innovativen Versorgungsform für allergiekranke Säuglinge und Kleinkinder mit atopischer Dermatitis“ (2012-2017).